Strahlenschäden und Strengbeweis

C. Sonderfälle von S

Berufskrankheiten – Übersicht A-Z

S wie Strahlenschäden

Erkrankungen durch ionisierende Strahlen (Röntgenstrahlung, radioaktive Strahlung) sind in der Berufskrankheit-Nr. 2402 erfaßt. Man denkt unwillkürlich an Madame Curie in diesem Zusammenhang, an Tschernobyl und in Deutschland an den Uranbergbau der Wismut AG auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Im Zusammenhang mit den Wismut-Fällen haben die Berufsgenossenschaften einmal beziffert, was ein Berufskrebsfall im Schnitt kostet an Entschädigung, nämlich offenbar DM 750.000,–. Röntgenstrahlen können eine Gefahrenquelle darstellen für Personen, die der direkten oder indirekten Einwirkung, z.B. im Bereich der Medizin, bei der Materialprüfung, in der Röntgenapparate- oder Röntgenröhrenindustrie, ausgesetzt sind.

Fall: Angeblich sollte kein Zusammenhang zwischen der Multiplen Sklerose einer Röntgenschwester mit deren Berufstätigkeit bestehen. Der Dosimeter wurde unter der Bleischürze getragen.

In Berufskrebsfällen stehen leider zu viele Zusammenhangsfragen offen. Dies mag an den Anforderungen liegen. Rechtlich durch nichts gerechtfertigt ist die Anforderung der sogenannten Verdoppelungsdosis, als ob unter dieser Schwelle nicht sehr wohl Strahlenschäden verursacht werden könnten. Es geht sogar bis dahin, daß in einem BSG-Urteil zum Thema eines Strahlenschadens aus der Atomphysik nicht einmal die Frage der wesentlichen Mitursächlichkeit der beruflichen Ursache überhaupt diskutiert wird. Finden sich eine private und eine berufliche Mitursache für den eingetretenen Strahlenschaden, reicht die wesentliche Mitursächlichkeit der beruflichen Ursache ohne weiteres aus, mag diese auch nur „25 %“ Gewicht haben für den Schaden, wenn man dies einmal rechnerisch darstellen wollte. Alle energiereichen ionisierenden Strahlen lösen beim Auftreffen auf Materie physikalisch chemische Reaktionen aus, die im lebenden Gewebe zu Störungen der Zelltätigkeit bis zum Zelluntergang führen können. Je nach Höhe der Dosis können die Effekte umso verheerender sein. Hautschäden, chronische Schäden der Atemwege und der Lunge, Lungenkrebs, Leukämien und andere maligne Tumoren werden als strahlenbedingte Schäden angesehen. Es ist die Rede auch von Katarakten, die nach Bestrahlung der Augen vom hinteren Linsenpol ausgehend beobachtet werden. Chronische Schäden an speziellen Organen werden durch Strahleneinwirkung inkorporierter radioaktiver Stoffe verursacht. Sie finden sich am häufigsten bei den sogenannten kritischen Organen, d.h. denjenigen Organen, in denen radioaktive Stoffe sich bevorzugt ablagern, z.B. Schilddrüsen für Jod, Knochen für Strontium Polonium u.a.. Im Anhang 1 zum Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur Berufskrankheit 2402 finden sich die gängigen Begriffsbestimmungen, z.B. der Umrechnungsfaktor 1 Sv gleich 100 rem. Die BK Nr. 2402 gehört zu den ältesten Berufskrankheiten der Liste, in der sie seit 1925 enthalten ist. Richtiger Auffassung nach gibt es offenbar keinen Schwellenwert, bis zu dem radioaktive Strahlung unschädlich ist. Wird ein Arbeitnehmer beruflich strahlengefährdet tätig, so erhöht dies das normale Strahlenrisiko aus der Umwelt. Mithin ist der Betroffene höher gefährdet als der nur privat belastete Normalbürger, der nur der terrestrischen oder kosmischen Strahlung ausgesetzt sein mag. So nützlich die Empfehlungen für die Bearbeitung von Berufskrankheiten infolge von Tätigkeiten bei der sowjetisch-deutschen Aktiengesellschaft Wismut sein mögen, so wirken die darin angegebenen Werte allerdings dann als Ausschlußgründe für Fälle, die dann angeblich zu wenig WLM, gleich working level month, aufweisen. Der Lungenkrebs im Uranbergbau ist nicht unbedingt statistisch zu bewerten.

Tip: Legen Sie als Betroffener unbedingt Wert auf eine im Einzelnen begründete, wissenschaftliche Begutachtung.

Die Empfehlung für die Bearbeitung der Wismut-Fälle läßt nicht einmal sicher erkennen, ob dieser ein monokausaler Ansatz zugrunde liegt, was einen schlimmen Fehler darstellen würde. Ab 200 WLM soll eine einfache fachärztliche Stellungnahme für den Zusammenhang genügen. 200 WLM können im Zeitraum zwischen 1946 und 1955 im Untertagebau bereits nach etwa 16 Monaten erreicht worden sein. Man nehme zum Vergleich die Asbestfaserjahre, von denen im Extremfall nach 3 Monaten 25 sogenannte Asbestfaserjahre erreicht sein können. Alle diese Richtwerte geben allerdings mehr Anlaß zu Mißverständnissen, als daß diese hilfreich wären. Wer kommt denn darauf etwa als Betroffener, daß er in einem halben Jahr die Voraussetzungen von 25 sogenannter Asbestfaserjahre erfüllt hat, um bei dem Beispiel zu bleiben.

Frage: Werden dem Betroffenen, der nur 10 sogenannter Asbestfaserjahre vorweisen kann, diese dann deshalb angerechnet, weil er zusätzlich WLM-Einheiten aus dem Uranbergbau mitbringt?

Synergistische Schadstoffeffekte werden gegenwärtig vom Berufskrankheitenrecht sträflich vernachlässigt.

Statistik:

Laut Arbeitssicherheitsbericht 1998 wurden 1997 950 Verdachtsfälle angezeigt. In 250 Fällen kam es zu einem neuen Rentenfall. Die Schere zwischen angezeigten und berenteten Fällen erscheint als weit geöffnet, die Zahl der Dunkelziffer als hoch.

S wie Strengbeweis

Der sogenannte Strengbeweis gehört grundsätzlich. in den Strafprozeß. Gleichwohl wird der Strengbeweis bzw. Vollbeweis auch in der Sozialgerichtsbarkeit strapaziert, z.B. zum Beweis der versicherten Tätigkeit und der arbeitstechnischen Voraussetzungen für einen Asbestkrebs, obzwar die gefährdende Tätigkeit 40 Jahre zurückliegen kann. Ebenso wird bei der Diagnose des Lungenkrebs der Vollbeweis gefordert, statt deren hinreichenden Wahrscheinlichkeit genügen zu lassen. Nach den prozessualen Vorschriften genügt allerdings eine freie Überzeugungsbildung, ob ein Schaden entstanden ist und wie hoch sich dieser Schaden beläuft. Der Unterschied zwischen Strengbeweis und freier Überzeugungsbildung liegt darin, daß bei der freien Überzeugungsbildung noch vorhandene Restzweifel nicht den Ausschlag geben müssen. Der wahrscheinliche Lungenkrebs eines beruflich Asbestkranken kann also in freier Überzeugungsbildung bereits zu Lebzeiten des Betroffenen entschädigt werden, auch wenn eine spätere Obduktion (theoretisch) ein anderes Ergebnis zeitigen könnte. Im Strafprozeß wiederum wäre es unerträglich, jemanden einzusperren, obwohl noch Restzweifel an dessen Tatbegehung bestehen.

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